Sonntag, 27. Mai 2018

Fragen der Projektgesellschaft an Lebenswertes Laubach

Achtung Stellungnahme
Ein langer Text aber es lohnt sich 🙂 
Antwort des Vereins Lebenswertes Laubach auf die Frage(n) der Projektgesellschaft Singalumnat
(Fragen sind im Text enthalten)

Frage der Projektgesellschaft als PDF
Unsere Antwort als PDF

Sehr geehrte Damen und Herren,

im Folgenden erhalten Sie eine möglichst ausführliche Beantwortung Ihrer Frage an uns bezüglich unserer Position um das geplante Bauprojekt. Zunächst möchten wir allerdings anmerken, dass die von Ihnen gestellten Fragen genau die sind, auf die wir seit Beginn unserer Initiative gewartet haben, da eine Kompromissfindung nur möglich ist, wenn beide Seiten die Beweggründe der jeweils anderen Seite kennen.

Zur Ihrer Fragestellung sei uns noch eine Vorbemerkung gestattet: In Ihrem Terminvorschlag haben Sie für die weiteren Gespräche einen Verhaltenscodex vorgeschlagen, in dem es u.a. um gegenseitigen Respekt geht, um Diskussion auf Sachebene und Vermeidung von gegenseitigen Schuldzuweisungen und Kränkungen. Eine Unterstellung der „Verweigerung zum Aufstellungsbeschluss“ ohne unsere Bewegründe, und Positionen zu kennen, erschwert eine offene Diskussion auf Sachebene

Um Ihre Fragen möglichst präzise beantworten zu können, muss leider etwas weiter ausgeholt werden, um die Gesamtheit der heutigen Situation in Laubach und speziell im Musikerviertel aus unserer Sichtweise zu beschreiben. Die Forderungen der Anwohner resultieren unter anderem auch aus dem im Folgenden beschriebenen gesamtheitlichen Blick:

Wohnraumbedarf – Wohnraumversorgungskonzept - IKEK
Laut Wohnraumversorgungskonzept -  und damit argumentieren die meisten Befürworter des Bauprojektes – werden in den kommenden Jahren zusätzliche 150 Wohneinheiten in der Großgemeinde Laubach benötigt. Dieser Bedarf resultiert aus dem demografischen Wandel und der Entwicklung hin zu Wohneinheiten für weniger Personen. Wir verwenden allerdings für unsere Bedarfsanalyse neben dem Wohnraumversorgungs-konzept zusätzliche Daten aus dem kommunalen Entwicklungskonzept der Stadt Laubach (IKEK), das in seiner Datenanalyse zum Gebäudebestand alleine in der Kernstadt einen Leerstand von 45 Wohngebäuden und 173 vom Leerstand bedrohter Wohngebäude aufgenommen hat. Das sind also 218 Wohneinheiten, die im schlimmsten Fall in den kommenden Jahren leer stehen werden. Bei 1.258 Wohngebäuden in der Kernstadt insgesamt eine Katastrophe. Beide Analysen muss man aus unserer Sicht zusammen betrachten, um geeignete Lösungswege gesamtheitlich zu finden. So sind die vom Leerstand bedrohten Wohneinheiten in der Mehrzahl größere Wohneinheiten zum Beispiel Einfamilienhäuser. Das bedeutet, dass der drohende Leerstand nicht direkt durch den prognostizierten Bedarf an kleineren möglicherweise auch barrierefreien Wohneinheiten ausgeglichen werden kann. Um aber den Leerstand zu verhindern, bedarf es an Konzepten, die zum Beispiel einen Umbau von großen Einfamilienhäusern in Zweifamilienhäuser attraktiv machen. Da aber Projekte, wie dieses von Ihnen geplante, zu einer möglichen Überversorgung insgesamt an Wohneinheiten führen kann, besteht für die Eigentümer kein Investitionsanreiz und sogar ein Investitionsrisiko, ihre Häuser in kleinere und zum Teil auch barrierefreien Einheiten umzubauen. Aus diesem Grund und der möglicherweise unterschiedlichen Sichtweise haben wir eine andere Ansicht über die Notwendigkeit, eines solchen geplanten Projektes.
Richtet man sich mit dem Fokus aus der Kernstadt nur alleine auf das Musikerviertel, das wir im engeren Sinne aus den Straßen Johann-Sebastian-Bach-Straße, Beethovenstraße, Brahmsstraße, Richard-Wagner-Straße und In der Gombach zusammenfassen, hat hier ein sehr behutsamer und langsamer Generationenwechsel eingesetzt. Die Nachbarschaft kümmert sich umeinander und neu hinzugezogene werden sehr schnell in die Gemeinschaft aufgenommen. Das Viertel besteht ca. aus 160 Wohneinheiten. Das ist die Anzahl der Flyer, die wir in diesen Straßen in die Briefkästen werfen. Geht man im Schnitt von 2,1 Bewohnern pro Wohneinheit aus (das ist der Durchschnitt für Laubach laut Wohnraumversorgungskonzept), sind das ca. 336 Nachbarn in diesem Stadtviertel. Das von Ihnen geplante Projekt wird mit bis zu 45 Wohnungen konzipiert. Das heißt, dass das Viertel innerhalb kürzester Zeit um 28% an Wohneinheiten und an Bevölkerung ansteigen würde – und dies dazu nicht über die gesamte Fläche von 13 Hektar (das ist die Gesamtfläche des Musikerviertels) verteilt sondern auf einen engen Raum von 0,5 Hektar begrenzt. Eine solche Maßnahme wird ohne Zweifel auch einen erheblichen Einfluss auf die Strukturen haben, auf den Generationenwechsel, auf das Miteinander. Ob positive oder negative kann nicht gesagt werden, aber wir plädieren für einen behutsamen Wandel.

Wohnungsmarkt
Strukturpolitisch sehen wir auch, dass es notwendig ist, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, es Menschen zu ermöglichen, ihre private Altersvorsorge durch ein selbstgenutztes Eigenheim zu sichern. Darauf abgezielt haben zum Beispiel unsere Fragen an Sie, welchen Quadratmeterpreis Sie als „bezahlbaren“ Wohnraum erachten, unabhängig davon, welchen Verkaufspreis Sie bei diesem Projekt anstreben. Im Raum stehen – und das wurde an unterschiedlichen Stellen genannt – 2.500 € Verkaufspreis pro Quadratmeter. Ein sich daraus ergebender Gesamtpreis für eine 80-Quadratmeter-Wohnung von 200.000 € plus Nebenkosten erachten wir für Laubach nicht als bezahlbaren Wohnraum. Wir befürchten daher, dass aufgrund zu hoher Renditeerwartungen und –versprechen Immobilienanleger Eigentumswohnungen kaufen werden, die möglicherweise auch im Hinblick auf nicht dauerhaft niedrige Zinsen eben nicht Werte für Ihre Altersvorsorge aufbauen werden und das aufgrund anfänglich zu hoher Erwartungen hinsichtlich einer zur Finanzierung notwendigen Quadratmetermiete eine hohe Fluktuation bei den Bewohnern stattfinden wird, die das oben erwähnte Gefüge im Musikerviertel erheblich belasten wird. Sie haben in der Beantwortung unseres Fragenkataloges angemerkt, dass einige unserer Fragen über die Kompetenzen einer Bürgerinititative hinausgehen würden. Diese Fragen zielten genau auf diese genannten Sorgen der Anwohner im Musikerviertel ab und bisher wurden uns diese Sorgen nicht genommen.

Das gemeinsame Ziel
Wenn man nach einem Kompromiss sucht, ist es hilfreich, zunächst nach dem gemeinsamen Ziel zu suchen, auf dem man dann möglicherweise aufbauen kann. Wir denken, dass das einzige gemeinsame Ziel aller Beteiligten ist, dass die Ruine des alten Singalumnates durch eine neue Wohnbebauung ersetzt wird. Die unterschiedlichen Vorstellungen von einer Realisierung dieses Ziels sind aber einzig der Tatsache geschuldet, dass wir alle es mit einem Grundstückseigentümer zu tun haben, dem es ausschließlich um die Rendite seiner „Schrottimmobilie“ geht, der sich seiner gesellschaftlichen Verantwortung als Eigentümer seit Jahren entzieht. Hier ist aus unserer Sicht in den vergangenen Jahren zu wenig seitens der Verwaltung (z.B. Ordnungsamt und Bauordnungsamt) unternommen worden, um die Verpflichtungen am Eigentum einzufordern und auch durchzusetzen. Die Planung einer Wohnanlage in dieser Dimension hat zusätzlich dazu geführt, dass die Renditeerwartungen des Eigentümers weiter gestiegen sind. Das sehen Sie alleine an den schwierigen Verhandlungen, die Sie mit dem Grundstückseigentümer führen müssen. Daher sind wir der Ansicht, dass gerade ein Bebauungsplan ohne Einschränkungen den Grundstückswert derart erhöht, dass eine dem Viertel angemessene Wohnbebauung kaum noch möglich scheint. Auch aus diesem Grunde, also zur Verhinderung eines Anstieges der Preisvorstellungen, sind wir zum aktuellen Zeitpunkt gegen einen Bebauungsplan. Hier wird der zweite Schritt vor dem ersten unternommen und damit eine einvernehmliche Lösung extrem erschwert. Nachdem das Gebäude nun seit vielen Jahren zerfällt, kommt es auf ein paar weitere Jahre nicht an, wenn man gewillt ist, gemeinsam an einer aus unserer Sicht vernünftigen Lösung zu arbeiten. Da wir wie eingangs beschrieben auch nicht den akuten Wohnraumbedarf bzw. Mangel an Wohnraum sehen, wäre eine langfristige Lösung in diesem Sinne auch nicht problematisch. An dieser Stelle stellt sich uns auch die Frage, wieso der Zeitplan bei Ihrem Projekt immer so knapp gehalten werden muss, wieso ein neuer Aufstellungsbeschluss unbedingt noch vor der Sommerpause der politischen Gremien getroffen werden muss, wieso in der Vergangenheit keine Zeit vorhanden war, um sich gemeinsam und ausführlich über die unterschiedlichen Sichtweisen auszutauschen. Und auch die aktuelle Vorgehensweise und der damit verbundene Zeitdruck machen uns eher misstrauisch als zuversichtlich.

Nun aber zur Beantwortung Ihrer Fragen:

a)      Nach bestehender Faktenlage, was möchte der Verein Lebenswertes Laubach mit seiner Position, die gegen den Aufstellungsbeschluss des Bebauungsplanes der J.-S.-B.-Str.22 votiert, erreichen?

Im Prinzip ist aus den oben genannten Gründen unsere Position, dass wir derzeit nicht für einen Bebauungsplan sind und unsere Ideallösung ist, Geduld zu haben und an einer anderen Lösung zu arbeiten, die eine deutlich angemessenere Wohnbebauung ermöglicht.

b)     Was ist der angestrebte Nutzen, der sich aus dieser Position ergibt?

Wir denken, dass man mit Geduld und Hartnäckigkeit zu einer Lösung kommt, die in das gesamte Erscheinungsbild des Musikerviertels hineinpasst, dem langsamen Generationenwechsel gerecht wird und auch für die gesamte Kernstadt einen Investitionsschutz für Bestandsimmobilien bietet, die vom Leerstand bedroht sind.

c)     Was ist Ihr eigentliches Interesse, welches sich hinter der Verweigerung zum Aufstellungs-beschluss verbirgt, wenn klar geworden ist, dass laut Faktenlage, gesetzlich alles geregelt und geschützt ist?

s.o.

Sie schreiben von „Verweigerung zum Aufstellungsbeschluss“, was wir entschieden von uns weisen. Ihre Einschätzung kann nur daraus resultieren, dass Sie es bisher eindeutig versäumt haben, uns nach unserer Interessenlage zu fragen. Wir haben oben beschrieben, was unsere Idealvorstellung als Lösung für das ehemalige Singalumnat ist, möchten Ihnen aber versichern, dass wir seit Beginn immer offen für eine Kompromisslösung gewesen sind. Daher sollten Sie wissen, dass wir hinsichtlich eines möglichen Bebauungsplanes Grenzen haben, innerhalb derer eine Projektumsetzung dennoch möglich sein sollte. Diese Punkte gehören in den Aufstellungsbeschluss, der letztlich die Vorgabe an die weitere Planung im Bauleitplanverfahren sein wird:

  1. Begrenzung auf die Flurstücke 1/2 und 65
  2. Die maximale Geschoßzahl beträgt 2+1 (2 Vollgeschosse und 1 Staffelgeschoß nach Maßgabe des §2 Abs. 4 der HBO)
  3. Die maximale Gebäudehöhe (der höchste Punkt) beträgt 236 Meter ü.N.N.
  4. Die aktuell gültige Stellplatzsatzung der Stadt Laubach wird auch auf dieses Bauvorhaben angewendet.
  5. Die Stellplätze müssen auf dem Grundstück geschaffen werden
  6. Es wird ein städtebaulicher Vertrag nach §11 BauGB geschlossen
  7. Es wird ein Durchführungsvertrag nach §12 BauGB geschlossen
  8. Eine Umweltprüfung wird durchgeführt, da die Liegenschaft direkt an die Streuobstwiese und den Waldrand anschließt
  9. Ein Verkehrsgutachten wird erstellt, dass den Engpass am Kindergarten „Weltentdecker“ und am Engpass Johann-Sebastian-Bach-Straße 2 bis 8 untersucht

Diese Punkte haben wir am Freitag, 25.05.2018 während eines gemeinsamen Informationstreffens besprochen und sie bilden das Meinungsbild im Musikerviertel ab.

Zu Nr. 1 haben wir folgende Erläuterung bzw. Begründung: Der Ramsberg und speziell die an das Alumnat angrenzende Streuobstwiese sowie der Wald oberhalb ist ein wichtiges Naherholungsgebiet für die Menschen im Musikerviertel und ganz Laubach und auch für den Tourismus nicht unerheblich. Direkt angrenzend an die Wegeparzellen beginnen ein Vogelschutzgebiet und ein FFH-Gebiet. Eine Einbeziehung der beiden Wegeparzellen 56 und 66 in ein Bauprojekt mit entsprechender Versiegelung, Verdichtung und Pkw-Verkehr sind daher für uns ausgeschlossen. Eine Ausweitung der Projektfläche noch dichter an den Wald könnte auch zur Folge haben, dass eventuell nicht mehr ganz standfeste Bäume am Waldrand gefällt werden müssen, um Schäden an Häusern und Pkws bzw. Personen zu verhindern. Eine Ausweitung der Projektfläche wird daher auch direkte negative Auswirkungen auf den angrenzenden Wald haben.

Erläuterung zu Nr. 4 und 5: Einige unsere Fragen im Fragenkatalog zielten darauf ab, zu erfahren, wer die zukünftigen Bewohner bzw. Käufer der Wohnungen sein werden. Ein Stellplatzschlüssel von unter 1,75 wurde von Ihnen bisher immer damit argumentiert, dass es sich um eine Mehrgenerationenanlage handeln wird mit barrierefreien Wohnungen, um die Anlage für ältere Menschen attraktiv zu machen. Sie gehen in Ihrer Argumentation davon aus, dass ältere Menschen häufiger alleine eine Wohnung nutzen und außerdem weniger Auto fahren. Unter diesen Gesichtspunkten wäre ein Stellplatzschlüssel von 1,25 oder 1,5 gerechtfertigt.
Dabei missachten Sie aber, dass weder die Entscheidungsträger im Stadtparlament noch die Projektgesellschaft einen Einfluss darauf haben, wer tatsächlich die zukünftigen Bewohner der Wohnanlage sein werden. Auch im Hinblick einer langfristigen Sichtweise kann das von niemandem heute seriös beantwortet werden. Daher darf man bei der Festlegung des Stellplatzschlüssels nicht von einer gewünschten Bewohnerstruktur ausgehen sondern muss einzig die vorliegenden Rahmenbedingungen, die in Laubach bestehen, beachten. Diese sind unter anderem:
  • Mangelhafte ÖPNV-Infrastruktur
  • Weite Wege zu den Mittelzentren (und Arbeitsplätzen vieler Laubacherinnen und Laubacher)
  • Keine Anbindung an Autobahn und Schiene
  • Speziell für das Musikerviertel: ein weiter Weg zu den Einzelhandelsgeschäften am westlichen Stadtrand
Das bedeutet, dass ein Bewohner, der nicht komplett auf fremde Hilfe angewiesen sein will, über ein Auto verfügen muss, um zu seiner Arbeitsstelle zu gelangen (in Gießen, Grünberg, Lich, Frankfurt,…) oder um zum Einkauf fahren zu können. Sollte die Wohnanlage zum Beispiel sehr attraktiv für junge Familien werden, weil ihnen eine Eigentumswohnung oder Mietwohnung in Gießen zu teuer ist, weil sie sich eine sehr gute Schulbildung für ihre Kinder an den Laubacher Schulen erhoffen, weil sie ein gesundes Lebensumfeld mitten in der Natur im Luftkurort Laubach wünschen und weil sie längere Wege zur Ihren Arbeitsstellen nach zum Beispiel Gießen in Kauf nehmen, dafür aber wesentlich geringere Lebenshaltungskosten insbesondere für Wohnen haben wollen, reicht ein Stellplatzschlüssel von 1,25 oder 1,5 nicht mehr aus. An dieser Stelle kommen wieder die Belange der Anwohner ins Spiel, die von den Problemen mangelnder Stellplätze in der Johann-Sebastian-Bach-Straße direkt betroffen sein werden. Eben und gerade weil es nicht gesteuert werden kann, wer die Bewohner zukünftig und auch in vielen Jahren sein werden, sehen wir in der Festlegung eines zu geringen Stellplatzschlüssels einen Egoismus gegenüber den derzeitigen Anwohnern, den wir so nicht akzeptieren können.

Wir sind uns dessen bewusst, dass diese von uns genannten Grenzen, die Bestandteil eines neuen Aufstellungsbeschlusses sein sollen, indirekt auch auf die Anzahl der Wohneinheiten haben wird und damit auch auf die Rendite, die sich für die Projektgesellschaft aus diesem Projekt ergeben wird. Wir gehen aber davon aus, dass auch unter diesen Einschränkungen ein Projekt wirtschaftlich sinnvoll umsetzbar sein kann.


Mit freundlichen Grüßen



Andreas Wenig
Vorsitzender

Lebenswertes Laubach

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