Wir gehen aktuell davon aus, dass ein Abriss des Singalumnates im Winter 2020/21 nicht mehr stattfinden wird. Grund sind mangelhafte Artenschutzuntersuchungen und ungenügend festgeschriebene Vereinbarungen zum Artenschutz im beschlossenen Bebauungsplan
Zusammenfassung:
- Untere Naturschutzbehörde: stoppt Rodungsarbeiten auf dem Gelände des Singalumnates
- Untere Naturschutzbehörde: hat bereits im November 2019 - im Zuge der Bauleitplanung - auf fehlende Untersuchungen hingewiesen
- CDU & FW: Beim Aufstellungsbeschluss im Juni 2019 gegen ein notwendiges Umweltgutachten gestimmt
- Untere Naturschutzbehörde: notwendige Erhebung vor allem von Reptilien und Haselmäusen [anm.: beginnen gerade ihren Winterschlaf] in dieser Jahreszeit nicht machbar
Im Verfahren zur Aufstellung des Bebauungsplanes hat die Projektgesellschaft einen „Landschaftspflegerischen Fachbeitrag mit integriertem artenschutzrechtlichen Planungsbeitrag“ erstellen lassen, der sich unter anderem mit den Auswirkungen des Bauprojektes auf die angrenzenden FFH- und Vogelschutzgebiete sowie auf den Artenschutz auf dem Grundstück befasst.
Sowohl das FFH- als auch das
Vogelschutzgebiet grenzen unmittelbar an das Grundstück des Singalumnates an:
FFH- und Vogelschutzgebiet am Ramsberg |
Das
Vogelschutzgebiet:
Das Vogelschutzgebiet verläuft über die
angrenzende Streuobstwiese bis zum Schlosspark und über den Wald des
Ramsberges. Es wird beschrieben als das „beste hessische Brutgebiet“ für
Vogelarten wie Schwarzstorch, Rotmilan oder Wespenbussard (u.a.).
Das
FFH-Gebiet
Es deckt sich teilweise mit dem
Vogelschutzgebiet, allerdings zum Beispiel ohne den Bereich der Streuobstwiese.
Dieses FFH-Gebiet beheimatet geschützte Tierarten wie die Bechsteinfledermaus,
Hirschkäfer, Gelbbauchunken und andere.
Das
Singalumnat als Lebensraum
Das Grundstück und das verfallene
Gebäude des Singalumnates selbst zeigen nach vielen Jahren des Leerstandes, wie
sich die Natur ihren Lebensraum zurückholen kann. Inzwischen ist eine sehr
umfangreiche ökologische Vielfalt von Pflanzen und Tieren auf diesem Gebiet
angesiedelt, die vor der Durchführung eines Bauprojektes ebenfalls zu
untersuchen sind.
Der Fachbeitrag schreibt, es wurde „eine
gezielte Kontrolle in Form einer Gebäudebegehung Anfang Oktober 2019“
durchgeführt und dabei keine Hinweise auf aktuelle oder frühere Ruhe- oder
Fortpflanzungsstätten von Vögeln und/oder Fledermäusen festgestellt.
Die Habitatstruktur auf dem Grundstück
wurde nicht untersucht, hierzu gibt der Fachbeitrag keine weitere
Auskunft außer der Anmerkung, dass das „Plangebiet aufgrund vorhandener
Strukturen potenziell geeignete Habitate für Vögel und Fledermäuse aufweist.“
Empfohlene
Maßnahmen zum Artenschutz
Um Verbotstatbestände gegen
Bundesnaturschutzrecht wie Verletzung und Tötung sowie Störung von
Fortpflanzungs- und Ruhestätten geschützter Tierarten grundsätzlich
auszuschließen, empfiehlt der Fachbeitrag folgende Maßnahmen:
- Ökologische Baubegleitung während der Entfernung von Verkleidungen, Schieferplatten und Attikablechen und bei den gesamten Abrissarbeiten
- Das Entfernen von Gehölzen ist nur in den Zeiträumen Oktober bis Februar oder mit Hilfe einer ökologischen Baubegleitung vorzunehmen
- Wegfallende Ruhe- und Fortpflanzungsstätten werden durch das Anbringen von geeigneten Vogel- und Fledermauskästen im Verhältnis 1:3 in oder an Fassaden ausgeglichen.
Wenn man davon ausgeht, dass auf dem
Grundstück inzwischen geschützte Tierarten beheimatet sein könnten, dann wären
die genannten und vorgeschlagenen Maßnahmen bei weitem nicht ausreichend, um
zum Beispiel eine Störung von Fortpflanzungs- und Ruhestätten auszuschließen.
Wenn man beispielsweise im Oktober Sträucher entfernt, in denen sich in den
Sommermonaten Tiere wie die Haselmaus oder Hirschkäfer erholen oder
fortpflanzen, ist dies ein Verbotstatbestand gegen Bundesnaturschutzgesetz.
Unlogisch ist ebenfalls, dass Vogel- und
Fledermauskästen angebracht werden, wenn deren Ruhe- und Fortpflanzungsstätten
wegfallen. Damit sagt der Fachbeitrag eindeutig, dass geschützte Tierarten sein könnten,
empfiehlt aber nur nachträgliche Ausgleichsmaßnahmen. In der Regel müssen
Ausgleichsmaßnahmen VOR dem Wegfall von Fortpflanzungs- und Ruhestätten durchgeführt
werden.
Gutachten
im Auftrag der Anwohner erstellt
Aus Sicht der Anwohner wurden im
Bebauungsplan die Vorgaben hinsichtlich Umwelt- und Naturschutz nur
unzulänglich umgesetzt.
Für die
Baugesellschaft sind der Fachbeitrag und auch die laxe Handhabung seitens der
Stadt Laubach im vereinbarten Durchführungsvertrag ein Segen. Erspart man sich
doch einerseits genaue Untersuchungen nach sehr strengen Leitfäden auf diesem
Gelände und, sofern Funde dokumentiert würden, teure, zeitraubende und aufwändige
Ausgleichsmaßnahmen.
Wir Anwohner haben aufgrund dieser
mangelhaft ausgeführten Untersuchung und den im Bebauungsplan und im
Durchführungsvertrag absolut ungenügend vereinbarten Festsetzungen zum
Artenschutz ein eigenes Gutachten beauftragt, das eine Untersuchung der
Habitatstruktur auf dem Grundstück zum Thema hat und prüfen soll, ob bei dem
Bauvorhaben gegen Artenschutzrecht verstoßen werden könnte.
Dieses Gutachten kommt alleine durch die
vorhandene Habitatstruktur zu dem Schluss, dass im Gebäude, in der
Strauchstruktur und in den Laubgehölzen Fledermäuse, Haselmäuse, Hirschkäfer
sowie Zauneidechsen vorkommen könnten. Der Zusammenhang zum
Vogelschutzgebiet, zum FFH-Gebiet, die starke Verbuschung mit geeigneten
Futterpflanzen, ein lange leerstehendes Gebäude mit zahlreichen Einflug- und
Quartiermöglichkeiten. All das ist ein idealer Lebensraum für viele Tiere und
auch geschützte Tierarten.
Ein
billiger Plan geht nicht auf
Gemäß Naturschutzrichtlinien können
Strauchschichten auf Grundstücken im Zeitraum Oktober bis Februar entfernt
werden. Laut Durchführungsvertrag zum Bebauungsplan war vereinbart, dass
dies unter „ökologischer Baubegleitung“ stattfinden wird.
Exakt vor Beantragung einer Abriss- und
Baugenehmigung, bei der auch die Untere Naturschutzbehörde prüfen wird, ob
durch das Bauvorhaben artenschutzrechtliche Belange berührt werden könnten,
sollte die die Strauchschicht auf dem Grundstück beseitigt werden. Damit stünde
einer Genehmigung durch die Bauaufsicht des Landkreises nichts mehr im Wege.
Am Mittwoch, dem 13. Oktober wurde also
begonnen, die Strauchschicht auf dem Grundstück zu beseitigen. Dies geschah
durch eine Gartenbaufirma und einen Mitarbeiter eines Umweltbüros, der mit
Hilfe einer Mistgabel Sträucher anhob und feststellte, dass sich dort keine
Tiere befinden. Darauf hat die Gartenbaufirma begonnen, die Strauchschichten
mit einer Motorsense zu beseitigen.
Man sollte dazu wissen, dass zum
Beispiel Haselmäuse im Oktober in ihr Winterquartier umziehen, sich also
frostsicher zu mehreren in lockeren Boden oder in Laubstreu eingraben. Die
Suche mit einer Mistgabel in Sträuchern ist in dieser Jahreszeit nicht das
geeignete Mittel, Haselmäuse zu finden.
Erst durch eine sofortige Verfügung der
Unteren Naturschutzbehörde des Landkreises Gießen, der unser Gutachten
vorliegt, konnte die Entfernung der Sträucher auf dem Gelände des Singalumnates
verhindert werden.
Unser
Fazit zu den Planungen der Baugesellschaft
- Die Projektgesellschaft hat für den Bebauungsplan einen „Landschaftspflegerischen Fachbeitrag erstellen lassen“, der eine absolut unzulängliche Untersuchung der Habitatstruktur auf Vorkommen geschützter Tierarten auf dem Grundstück darstellt.
- Im Bebauungsplan und im Durchführungsvertrag sind die Vorgaben hinsichtlich Artenschutz vollkommen unzureichend festgeschrieben worden obwohl die Untere Naturschutzbehörde in ihrer Stellungnahme zum Bebauungsplan explizit darauf hinwies, dass eine Untersuchung nur im Gebäude stattgefunden hat und keine Informationen über Fortpflanzungs- und Ruhestätten in Laubgehölzen und Höhlenbäumen vorliegen.
- Wesentliche Vorgaben zum Artenschutz wurden bewusst aus dem Bebauungsplanverfahren herausgenommen und sollten auf die Ebene der Vorhabenszulassung (Baugenehmigung) verlagert werden, die UNB hat darauf hingewiesen, dass dringend explizite Festsetzungen von Vorgaben in einem Durchführungsvertrag aufgenommen werden sollten. Das wurde nicht umgesetzt.
- Ein Änderungsantrag zum Satzungsbeschluss des Bebauungsplanes, der eine Umweltprüfung VOR allen Arbeiten vorschreiben sollte, wurde von den beiden Mehrheitsfraktionen CDU und FW im Stadtparlament abgelehnt.
- Für das Ziel, die Ruine des Singalumnates nach vielen Jahren des Leerstandes endlich los zu werden, wurde auf Druck der Baugesellschaft der Artenschutz vernachlässigt.
- Die Baugesellschaft beginnt im Oktober mit der Beseitigung der Laubgehölze unter Einsatz einer ökologischen Baubegleitung, die zur aktuellen Jahreszeit und mit den eingesetzten Methoden genau das findet, was sie finden soll: nichts.
Die gesamte Vorgehensweise interpretieren wir so, dass alles darauf ausgelegt war und ist, aufwändige Prüfungen und eventuell notwendige Ausgleichsmaßnahmen zu vermeiden.
Unsere Einschätzung über die weitere Vorgehensweise:
- Aus unserer Sicht sind vor jeglichen weiteren Arbeiten auf dem Grundstück zunächst umfangreiche Untersuchungen auf dem Grundstück und im Gebäude vorzunehmen, um festzustellen ob und welche geschützten Tierarten auf dem Grundstück des Singalumnates leben. Diese Untersuchungen werden nach dem "Leitfaden für die artenschutzrechtliche Prüfung in Hessen" durchgeführt und können wahrscheinlich erst ab Frühjahr 2021 begonnen werden, wenn die Tiere aus ihren Winterquartieren gekommen sind.
- Im Rahmen der Beantragung einer Abriss- und Baugenehmigung werden die Ergebnisse dieser Untersuchungen berücksichtigt und je nach Inhalt Vorgaben an die Baumaßnahmen erstellt, u.a. eine Schaffung von Ausgleichsmaßnahmen bevor der bestehende Lebensraum zerstört wird.
- Das Entfernen von Laubgehölzen und der Abriss des Singalumnates werden nach Abschluss aller artenschutzrechtlicher Maßnahmen nur in den kalten Monaten Oktober bis Februar genehmigt werden.
Daher gehen wir aktuell davon aus, dass
dies Artenschutzprüfung erst im Frühjahr / Sommer 2021 stattfinden kann und ein
Abriss des Singalumnates daher frühestens ab Oktober 2021 genehmigt wird.
Presseschau
16.10.2020 Gießener-Anzeiger |
21.10.2020 Gießener Allgemeine |
22.10.2020 Gießener Allgemeine |
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